Die Forschungsgruppe Diatomeen am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin musste sich für die zu einem Verwandtschaftskreis gehörenden Kieselalgen-Arten allerdings keinen gänzlich neuen Gattungsnamen ausdenken. Tatsächlich wurde die Gattung Gomphonella bereits 1859 gültig für eine der zu dieser Kieselalgen-Gruppe zählenden Art beschrieben, war jedoch wissenschaftlich nicht mit Leben gefüllt und fast vergessen. Die aktuellen Untersuchungen mit modernsten licht- und elektronenmikroskopischen und molekularbiologischen Methoden sowie die Recherche in naturhistorischen Sammlungen weltweit bestätigt nun, welche Arten zur Gattung Gomphonella zählen und dass die Gattung weit umfangreicher ist, als bis zuletzt gedacht.
Diese neuen Entdeckungen wurden im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „German Barcode of Life – Diatoms“ (GBOL) gemacht. Für dieses werden Kieselalgen aus deutschen Gewässern für die Erstellung einer DNA-Referenzdatenbank für das Gewässermonitoring im Rahmen der EU Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) isoliert und kultiviert. Die weit unter einen Millimeter großen Kieselalgenarten werden morphologisch mit dem Lichtmikroskop untersucht und fotografisch dokumentiert. Ihre Feinstruktur wird mit dem Rasterelektronenmikroskop analysiert. Auch ihre Erbinformation, die DNA, wird molekulargenetisch untersucht. Nur die Kombination von molekularen und morphologischen Analysen sowie die Untersuchungen von Algenkulturen im Labor hat das Aufklären der Feinheiten der evolutionären Zusammenhänge in dieser Kieselalgengruppe ermöglicht. Dank der systematischen Forschung ist auch in der Zukunft damit zu rechnen, dass das Forscherteam weitere neue Arten entdecken wird und damit zur weiteren Beschreibung der Biodiversität beitragen wird.
Hintergrundinformation:
Kieselalgen (auch Diatomeen) sind winzige einzellige Algen von meist nur einem Zwanzigstel Millimeter Durchmesser, für deren Beobachtung und Bestimmung ein leistungsstarkes Mikroskop erforderlich ist. Sie leben in großer Zahl in Seen, Flüssen und Meeren und besiedeln selbst kleinste feuchte Lebensräume wie Baumrinden und Erde.
Kieselalgen sind Lunge und Nahrung der Erde
Die Zahl der Diatomeenarten wird auf mehrere 100.000 geschätzt, wobei gegenwärtig erst 30.000 Kieselalgenarten beschrieben sind. Trotz ihrer geringen Größe kommt Kieselalgen eine herausragende ökologische Bedeutung zu. Der dank ihrer Photosyntheseaktivität freigesetzte Sauerstoff macht etwa 25 % der weltweiten Sauerstoffproduktion aus. Sie leisten 25 % der globalen Kohlendioxid-Fixierung und puffern damit den Treibhauseffekt und die Klimaerwärmung ab. Sie stehen am Anfang des Nahrungsnetzes und tragen bis zu 25-45 % zur globalen Primärproduktion bei.
Charakteristische Kieselschale
Charakteristisch für den Aufbau der Diatomeen sind ihre transparenten Schalen aus glasartiger Kieselsäure, weswegen sie auch Kieselalgen genannt werden. Die Schalen umgeben die Zelle schützend, sind sehr vielfältig gestaltet und symmetrisch durchbrochen. Die Form der strukturierten Schalen ist artspezifisch und wurde schon früh in der Naturwissenschaft systematisch erfasst.
Kieselalgen: Wichtige Bioindikatoren für die Gewässergüte
Kieselalgen (Diatomeen) sind in nahezu allen Gewässertypen zu finden. Die verschiedenen Kieselalgenarten reagieren empfindlich und spezifisch auf Änderungen der Umwelt wie Verschmutzung, Nährstoffversorgung, Säure und Salzgehalt und sind daher wichtige Anzeiger der Wasserqualität. Kieselalgen werden routinemäßig als Bioindikatoren innerhalb der EU-Wasserrahmenrichtlinie und global zur Bestimmung der Gewässergüte untersucht. Dabei werden vorrangig substratbewohnende Kieselalgen untersucht, da sie im Gegensatz zu freischwimmenden Kieselalgen nicht durch Strömung oder andere Einwirkungen verdriftet werden, was zur Verfälschung der Ergebnisse führen kann. Um die Kieselalgen eines Gewässers für eine Gewässergüteanalyse zu untersuchen, werden sie von Steinen oder anderen Untergründen abgekratzt und anschließend im Labor untersucht. Der glitschige braune Belag auf Steinen am Ufer von Gewässern besteht zum größten Teil aus Kieselalgen.
Publikation:
Jahn, R., Kusber, W.-H., Skibbe, O., Zimmermann, J., Van, A., Buczkó, K. and Abarca, N. (2019) “Gomphonella olivacea (Bacillariophyceae) – a new phylogenetic position for a well-known taxon, its typification, new species and combinations”, Plant Ecology and Evolution, 152(2), pp. 219-247. https://doi.org/10.5091/plecevo.2019.1603
Pressefotos:
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Weitere Informationen:
https://doi.org/10.1080/0269249X.2018.1518835 – Publikation der Art Gomphoneis tegelensis von 2018
www.bgbm.org/de/wissenschaft-diatomeen – Zum Forschungsgruppe Diatomeen am Botanischen Garten Berlin
Pressekontakt:
Dr. Jonas Zimmermann, Leiter der Forschungsgruppe Diatomeen,
Freie Universität Berlin, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin,
Telefon: 030/83871835, E-Mail: j.zimmermann@bgbm.org
Wolf-Henning Kusber, Datenkustode der Forschungsgruppe Diatomeen,
Freie Universität Berlin, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin,
Telefon: 030/83850177, E-Mail: w.h.kusber@bgbm.org
Der Botanische Garten und das Botanische Museum Berlin ist einer der drei bedeutendsten Botanischen Gärten weltweit und der größte in Deutschland. Das Gartendenkmal mit einer Vielfalt von 20.000 Pflanzenarten auf dem 43 Hektar großen Gelände zeigt die „Welt in einem Garten“. Als Knotenpunkt der internationalen Biodiversitätsforschung und Wissenschaftseinrichtung mit über 300-jähriger Tradition beschäftigt er über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Forschung und Lehre. Mehr als 400.000 Besucher pro Jahr belegen die Bedeutung des Botanischen Gartens als wichtigen Erholungs- und Bildungsort der Hauptstadt. Mit dem Botanischen Museum verfügt er über Deutschlands einzige museale Einrichtung, die sich der Vielfalt der Pflanzenwelt, ihrer Bedeutung und der Darstellung ihrer Kultur- und Naturgeschichte widmet. Seit 1995 gehört die Einrichtung zur Freien Universität Berlin.
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