Kieselalgen sind sehr kleine Einzeller, die aufgrund ihrer Vermehrungsweise auch innerhalb einer Art nicht alle gleich aussehen. Ihre mikroskopische Bestimmung ist selbst für Experten schwierig. Kieselalgen eignen sich aber besonders gut, um die Qualität eines Gewässers und vor allem Qualitätsänderungen zu ermitteln, da sie in nahezu allen Gewässern vorkommen. So sind einzelne Arten an ganz spezielle Umwelteigenschaften angepasst. Sie reagieren empfindlich auf Verschmutzung, Nährstoffeinträge sowie einen veränderten Säure- oder Salzgehalt. Daher wird seit dem Jahr 2000 in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie gefordert, Kieselalgen als Bioindikatoren für die Analyse der Gewässergüte heranzuziehen. Seitdem müssen alle EU-Staaten ihre Gewässer kontinuierlich überwachen und bei bedenklicher Verschlechterung der Wasserqualität Sanierungs- bzw. Renaturierungsmaßnahmen einleiten.
Die Methode des DNA-Barcoding eignet sich ausgezeichnet, um die Zugehörigkeit einzelner Individuen zu einer Art anhand ihrer einzigartigen DNA-Sequenz festzustellen. Dazu hat Zimmermann zunächst diejenigen Abschnitte der Erbsubstanz von Kieselalgen miteinander verglichen, die sich am besten für die eindeutige Identifizierung eignen. Sie mussten einerseits in allen Kieselalgen einer Wasserprobe vorhanden sein, sich aber andererseits von den Genen anderer im Wasser lebenden Algen und Organismen eindeutig unterscheiden. Dazu testete er mehrere vielversprechende Abschnitte des aus hunderttausenden Basenpaaren bestehenden Erbmaterials und erkannte einen etwa 400 Bausteine langen aus dem Zellkern stammenden Abschnitt als besonders gut geeignet: Es handelt sich um den sogenannten 18S V4-Abschnitt, der auf dem für die Proteinkodierung relevanten ribosomalen Gen (RNA) liegt. Außerdem eignet sich dieser Abschnitt sowohl für Proben, die schon lange kultiviert wurden und nur eine oder sehr wenige Arten enthalten, als auch für Umweltproben, in denen eine Vielzahl verschiedener Kieselalgen vorhanden sind. Mit der entwickelten Methode des DNA-Barcoding erhält die Umweltanalyse ein zuverlässiges und objektives Verfahren, um einzelne Kieselalgen dingfest zu machen.
Mit der neuen Methode konnte Zimmermann bis zu dreimal mehr Arten aufspüren, als mit lichtmikroskopischer Betrachtung allein. Um diese Gruppen anschließend auch bis zur Artebene zu bestimmen, werden die Barcoding-Sequenzen normalerweise über eine sog. BLAST-Recherche mit bereits in Datenbanken hinterlegten DNA-Abfolgen verglichen. Da diese Analyse aber keine feinen Sequenzunterschiede aufspüren kann, verglich Zimmermann seine Ergebnisse auch mit weiteren Algorithmen, die in evolutionären Stammbäumen die Kieselalgen-Verwandtschaftsverhältnisse abbilden. Mit dieser phylogenetischen Herangehensweise entdeckte er vier bislang völlig unbekannte Kieselalgenarten in den seit vielen Jahrzehnten von Kieselalgenforschern untersuchten Berliner Gewässern.
Während seiner Arbeit stolperte Zimmermann immer wieder über Unklarheiten in bisherigen Datenbanken, die er − gleich der Arbeit mit einer Verdächtigenkartei − für die eindeutige Identifizierung von Kieselalgenarten heranziehen wollte. Von den geschätzt 100.000 Arten, die im Süßwasser leben, sind aber nur etwa 30.000 Arten bekannt und nur einen Bruchteil inklusive DNA-Sequenz in Datenbanken hinterlegt. Die Qualität der in den elektronischen Archiven hinterlegten Daten bestimmt, wie zuverlässig die Vielfalt mikroskopischer Organismen in der Natur korrekt beschrieben werden kann.
Daher entwickelte Zimmermann, dessen Dissertation von PD Dr. Birgit Gemeinholzer an der Justus-Liebig-Universität Gießen betreut und in Kooperation mit dem Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin und der Universität zu Köln durchgeführt wurde, gemeinsam mit Kollegen aus Europa neue Richtlinien, wie Proben in Zukunft hinterlegt werden sollen. Neben den üblichen Angaben zum Fundort und zu den Umweltparametern, wie pH-Wert und Leitfähigkeit des Gewässers, sowie den Sequenzfolgen schlägt Zimmermann vor, weitere Daten anzugeben. Hierzu zählen die Kultivierungsbedingungen, DNA-Primersequenzen und Methoden, die für die Vermehrung der winzigen DNA-Mengen verwendet wurden, die Ergebnisse von Sanger-Sequenzierungen (den sog. Pherogrammen), die fotografische Dokumentation zur Bestimmung relevanter Mikrostrukturen, die eine Bestimmung mittels Mikroskopen ermöglichen, die Methoden, mit denen die Dauerpräparate angefertigt wurden, sowie die Anzahl der Replikate. Außerdem sollen taxonomisch validierte Belegexemplare gemeinsam mit DNA-Material in anerkannten naturhistorischen Sammlungen hinterlegt werden. Von diesen verbesserten Datenbanken werden alle an Kieselalgen forschenden Biologen profitieren. „Diese Richtlinie erfüllt damit in ausgezeichneter Weise die Vorgaben zur guten wissenschaftlichen Praxis und zur Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen“, freut sich der Präsident der DBG Dietz.
Derzeit widmet sich Zimmermann der Standardisierung neuer Barcoding-Methoden und findet es faszinierend, dass die aus der Umwelt, einem See oder Bach entnommenen Proben eine so große Fülle an Lebewesen enthält, die er mit bloßem Auge nicht erkennen kann. Dazu will er im Team mit anderen Taxonomen, Kieselalgenforschern und Bioinformatikern in Zukunft an Hochdurchsatz-Sequenzierplattformen arbeiten, „denn für eine Probe benötigt man regelmäßig bis zu 200.000 Sequenz-Abschnitte, um die Artenvielfalt vollständig erfassen zu können“, sagt Zimmermann. Die Weiterentwicklung der sog. Next-Generation-Sequencing-Verfahren und der bioinformatischen Werkzeuge wird seine Analysen deutlich erleichtern.
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Weitere Information gibt Ihnen gern:
Dr. Jonas Zimmermann, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin,
Freie Universität Berlin, Forschungsgruppe Diatomeen
Königin-Luise-Straße 6-8, 14195 Berlin
Tel: ++(0)30-83871835, E-Mail: J.Zimmermann@bgbm.org
Website: www.bgbm.org/de/personal/forschungsgruppe-diatomeen/jonas-zimmermann
Titel der ausgezeichneten Dissertation:
Jonas Zimmermann (2014) “Design and valuation of DNA-Barcoding high throughput methods for analyzing diatom diversity: a test case along a south-north gradient in Central Europe (Rivers Lusatian Neisse/Oder)”:
http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2015/11281/pdf/ZimmermannJonas-…
Hintergrund:
Die Deutsche Botanische Gesellschaft e.V. (DBG) verleiht den Horst-Wiehe-Preis alle zwei Jahre für eine herausragende wissenschaftliche botanische Arbeit. Der Preis stammt aus der Stiftung von Horst Wiehe, der der DBG einen Betrag zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern stiftete. Die DBG vertritt die Pflanzenwissenschaften im deutschsprachigen Raum und fördert die wissenschaftliche Botanik auf nationaler und internationaler Ebene. Sie dient ausschließlich gemeinnützigen Zwecken. Die Hauptaufgaben sind die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Gedankenaustausches ihrer Mitglieder auf Meetings und Kongressen sowie die Veröffentlichung der Zeitschrift Plant Biology. Im Internet publiziert die DBG jüngste Trends aus der Botanik und über die Arbeitswelt der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Damit fördert die Gesellschaft, die zu den ältesten botanischen Gesellschaften zählt, auch die interdisziplinäre Arbeit ihrer etwa 850 Mitglieder.
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Eine Pressemitteilung von:
- Deutsche Botanische Gesellschaft e.V.
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Gesche Hohlstein, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin,
Freie Universität Berlin, Königin-Luise-Str. 6-8, 14195 Berlin
Tel. 030 / 838 50134, E-Mail: g.hohlstein@bgbm.org
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